Heimat finden
„Ich liege und schlafe ganz in Frieden, denn allein du, Herr, hilfst mir, dass ich sicher wohne.“
(Psalm 4, Vers 9)
Mit 18 Jahren bin ich von zu Hause ausgezogen. Selten hat es sich wie „eins“ angefühlt, selten war ich dort. Es war nie ein Ort, an dem ich mich wohlgefühlt habe. Mit Beginn meiner ersten Ausbildung fing ich an, zwischen zwei Städten zu pendeln. Ich war immer seltener zu Hause, und mit 18 zog ich dann gänzlich weg – in eine Großstadt, und die Möglichkeiten schienen unendlich. Da fühlte ich mich das erste Mal frei. Ich war auf mich allein gestellt, konnte ausbleiben, solange ich wollte, und spät in die Nacht Essen bestellen – ich musste niemandem Rechenschaft ablegen. Ich fühlte das erste Mal den Anflug des Gefühls, ich selbst sein zu können. Aber dieses Gefühl hielt nicht lange an. Ich war immer unzufrieden mit meiner Wohnung, stellte ständig die Möbel um – was in einer 21 qm Wohnung nicht allzu befriedigend war – und versuchte, mir ein Nest zu bauen. Einen Ort, an dem ich endlich ankommen und zur Ruhe kommen wollte. Als ich dann schließlich dachte, endlich zufrieden zu sein, zog ich zu meinem ersten Freund.
Wieder pendelte ich zwischen zwei Städten. Wieder verbrachte ich die meiste Zeit des Tages an Bahnhöfen. Wieder fühlte sich nichts wie ein richtiges Zuhause an. Ich konnte mich gut in die Wohnung meines Freundes integrieren. Ich durfte die Räumlichkeiten dekorieren, bekam eine kleine Ecke für mich, bepflanzte den Balkon und richtete ein Esszimmer ein. Ich entdeckte die Rolle der Gastgeberin für mich, und wir empfingen oft Besuch. Dennoch war es nie mein Zuhause, und schnell stand fest, dass wir uns eine gemeinsame Wohnung suchen sollten. Dazu kam es jedoch nie.
Nachdem ich die Beziehung nach drei Jahren beendete, zog ich in meine Heimatstadt. Sie gleicht eher einem Dorf, überwiegend bevölkert von älteren, ostdeutschen Menschen mit traditioneller Weltanschauung. Wieder konnte ich mir die Wohnung nicht aussuchen, da nach der Trennung alles ziemlich schnell gehen musste. Auch als gestandene Erwachsene fühlte ich mich einfach nicht wohl in der Stadt. In meiner dortigen Arbeitsstelle kämpfte ich viel mit Altersdiskriminierung. Von Anfang an stand fest, dass ich nicht lange hierbleiben würde. Ich fand keinen Frieden. Dementsprechend stand bald wieder ein Umzug an, und dieser führte mich in den Ruhrpott.
„Wer unter dem Schutz des Höchsten wohnt, der kann bei ihm, dem Allmächtigen, Ruhe finden.“
(Psalm 90:1)
Zum allgemeinen Verständnis sollte ich erzählen, dass sich zwischen diesem Umzug und dem letzten drei Jahre befanden. In der Zwischenzeit hatte ich einen neuen Freund, der dort Familie hatte, was schlussendlich auch der Grund für dieses Bundesland war. Dort fand ich auch schnell Arbeit, und die Wohnung richtete ich von Anfang an nach meinen Vorstellungen ein. Wir kauften neue Böden, wunderschöne Tapeten – jedes Zimmer bekam einen eigenen Stil. Die Küche war dunkel mit einem Hauch Vintage, das Wohnzimmer war in einem zarten Grün mit einem dunkelgrünen Sofa. Ich empfing nie Besuch dort. Denn obwohl diese Wohnung groß und wunderschön war, ging es dort nie gut. Ich beendete die Beziehung relativ schnell nach dem Umzug (meine Mutter prophezeite genau das). Ich fand einfach keine langanhaltende Geborgenheit, weder in den verschiedenen Städten noch in den verschiedenen Beziehungen.
Also war ich auf mich allein gestellt, fremd in einer fremden Stadt. Keine Freunde, keine Familie. Nur die Arbeit. Man kann es mir also nicht verübeln, dass ich dann wieder umzog, oder? Es verschlug mich nach Bayern. Ich zog in das Familienhaus meines Freundes. Familie. Irgendwie schien ich mich danach zu sehnen. Ich sehnte mich danach anzukommen, angenommen zu werden. Wonach ich mich nicht sehnte, war das Chaos, das eine große Familie, die unter einem Dach wohnte, mit sich brachte. Es gab ständig Diskussionen, Machtkämpfe um den Inhalt des Kühlschranks, und ständig wurde einem irgendein Kleidungsstück geklaut. Es war anstrengend. Und dennoch schien es so, als würde ich dort endlich einen Ort finden, den ich „Heimat“ nennen konnte. Wir hatten drei kleine, aber feine Zimmer, die wir renovierten und einrichteten. Ein gemütliches, japanisch angehauchtes Schlafzimmer, im Wohnzimmer stand wieder mein geliebtes dunkelgrünes Sofa vor einer altmodischen Blumentapete. Im dritten Raum thronten zwei riesige Schreibtische, bestückt mit Gaming-Equipment.
Ein halbes Jahr später zogen wir weg, und diesmal riss es mir den Boden unter den Füßen weg. Ich fühlte mich heimatlos, ohne Zuhause...
Zuhause…
Was macht ein Zuhause aus? Laut Google KI ist ein Zuhause vor allem ein Ort der Geborgenheit, Sicherheit und Zugehörigkeit. Dort, wo man sich entspannen und wohlfühlen kann. Ein Ort, an dem man sich selbst sein kann.
Wenn mich die Umzüge eins gelehrt haben, dann dass dieser Ort nicht vom Standort abhängt, auch nicht davon, wie gemütlich er eingerichtet ist. Es braucht etwas, bei dem man sich fallen lassen kann.
Im Evangelium von Lukas wird erzählt, wie Maria nach dem Passahfest verzweifelt Jesus sucht. Dieser saß währenddessen in Jerusalem im Tempel unter den Gelehrten.
„Die Eltern waren fassungslos, als sie ihn dort fanden. »Kind«, fragte ihn Maria, »wie konntest du uns nur so etwas antun? Dein Vater und ich haben dich überall verzweifelt gesucht!«
»Warum habt ihr mich gesucht?«, erwiderte Jesus. »Habt ihr denn nicht gewusst, dass ich im Haus meines Vaters sein muss?«“ (Lukas 2: 48- 49)
Im Hause seines Vaters, im Tempel Gottes, hat Jesus sich so wohlgefühlt, dass er als Zwölfjähriger nicht einmal seine Mutter vermisst hat.
„Wie ein kleines Kind in den Armen seiner Mutter, so ruhig und geborgen bin ich bei dir!“ (Psalm 143, 9)
Und wie Jesus fand ich mein Heim im Hause Gottes. Nur dass dieses Haus, dank Jesu Opfer, nicht mehr an einem Tempel gebunden war. Nein, Jesus starb für uns, damit er in uns wohnen kann. Bei Gott konnte ich Heimat finden. Er schenkt mir Sicherheit und Geborgenheit. Gott empfängt mich mit Gnade und Barmherzigkeit. Er nimmt mich wahr. Selbst mein Haar auf dem Kopf sind genauestens gezählt. Er kennt mich, bei ihm darf ich sein. Bei ihm kann ich die Füße hochlegen, zur Ruhe kommen, Frieden finden. Ich darf weinen, lachen, ich selbst sein. Ankommen